Trendforscherin Gudy Herder im Interview

13. September 2020

Interview: Laurie Hilbig

Zeiten der Neuorientierung

Sie weiß, was „in“ ist: Gudy Herder ist Trendforscherin im Wohn- und Lifestylebereich, Keynote Speaker auf zahlreichen Veranstaltungen und teilt ihre Inspirationen auf dem Blog Eclectic Trends. Nachdem sie 30 Jahre in Barcelona gelebt hat, ist sie kürzlich mit ihrem Partner aufs Land gezogen. Was sie dazu bewegt hat und welche Trends sich zurzeit entwickeln, erzählte sie uns im Interview.

Liebe Gudy, unsere Gesellschaft und ihre Gewohnheiten haben sich in Zeiten von Corona verändert. Welche Trends entstehen gerade?

Wir leben momentan in einer herausfordernden Zeit. Deshalb werden nun die Themen Self Care und Well-being immer wichtiger. Unser Bedürfnis nach Self Care ist jetzt stark angestiegen durch die Corona-Zeit. Unter anderem, um persönliche Krisen in Zeiten der Unsicherheit zu minimieren oder zu verhindern. Die Menschen schämen sich jetzt weniger, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Vorher war das oft verpönt. Den Well-being-Trend sieht man auch in der Möbelbranche. Das Motto: „Your home is your healing temple“, wie ich gerne sage. Die Bedürfnisse des Menschen stehen derzeit an erster Stelle, wenn es um ein Produkt geht. Das Design dagegen an zweiter Stelle.

 

Inwiefern wird sich die Möbelbranche hierbei verändern?

Die Corona-Krise hat hier zwei wichtige Punkte aufgezeigt: Das Zuhause soll schön sein und den Menschen inspirieren – also das Wohlbefinden stärken. Vorher war das Wohnzimmer ein lebhafter Ort, an dem die ganze Familie zusammentrifft. Jetzt dagegen handelt es sich hier um einen Raum, in dem man auch mal für sich allein sein möchte. Der neue Sessel ist nicht nur ein Sessel, sondern auch ein Platz, an dem man meditieren kann. Oder das Badezimmer wird zum Ort, in der eine Mutter ihre heilige Auszeit in der Badewanne nimmt, sie weiß, sie wird dort nicht gestört. Produkte für diesen Zweck werden zunehmen.

Aber das Zuhause und die Möbel müssen auch praktisch sein und sich an die häufig täglich ständig wechselnden Situationen anpassen können. In Japan werden bei Muji jetzt beispielsweise Büromöbel für den Job im Homeoffice günstig vermietet und ich denke, das wird auch in Europa kommen. Das Homeoffice sehe ich übrigens jetzt nicht mehr als Trend, sondern als festen Bestandteil unserer modernen Arbeitswelt.

 

Wie funktioniert Trendforschung überhaupt?

Die Basis eines Trends liegt in sozialen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und umweltbedingten Faktoren. Wenn natürliche Fasern im Möbelbereich beispielsweise zum Trend geworden sind, dann passiert das nicht einfach so, es gibt Gründe dafür. Ich versuche dann den Ursprungspunkt zu erläutern. Dazu muss ich das Konsumentenverhalten verstehen und die Werte, die dahinterstecken. Ich arbeite also auch sehr wissenschaftlich und beziehe Infos von Marktforschungsinstituten.

Mit der COVID-Krise kann man es leicht erklären: Es entstehen neue Trends, wenn sich unsere Werte und Bedürfnisse verändern. Erst wenn ich diese beiden Punkte verstanden habe, kann ich erkennen, welche Materialien, Formen und Farben daraus resultieren. Diese Trendübersetzungen kommen also immer erst am Ende einer Recherche.

 

Wie bist du in die Trendforschung gekommen?

Ich komme ursprünglich aus dem Retail-Management. In der Luxus- und Modebranche habe ich international Ketten aufgebaut, um mit ihnen zu expandieren. Das war mir aber zu wenig kreativ. Also habe ich eine 18-monatige Auszeit genommen, ein Sabbatical Year. Das war beruflich gesehen eine sehr gute Entscheidung! Ich bin während der Zeit sehr kreativ geworden und habe viel mit meinen Händen gearbeitet. Danach habe ich mit spanischen Möbelretailer Kibuc kollaboriert, was etwa mit BoConcept vergleichbar ist. Hier war ich zuständig, Accessoire-Kollektionen zu kreieren, und habe mich viel mit Trends beschäftigt.

Ich war bis zu zwölf Mal im Jahr auf Messen unterwegs, oft auf Reisen und habe mich informiert, was in Sachen Formen und Farben kommt. Dazu habe ich umfassende Trendreports erstellt. Irgendwann hatte ich so viele Anfragen von Providern aus dem Licht-, Teppich- und Tapetenbereich, dass ich mich selbstständig gemacht und mein eigenes Studio gegründet habe.

 

Du hast 30 Jahre in Barcelona gewohnt. Wieso bist du kürzlich aus der Stadt weggezogen?

Barcelona hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Stadt platzt inzwischen das ganze Jahr über aus allen Nähten. Und wenn so etwas passiert, dann wird es lauter und die Luftqualität schlechter.

Zudem habe ich mich verändert und suche immer mehr den Kontakt zur Natur. An den Wochenenden wollte ich dann nur noch raus aus der Stadt, um die Batterien aufzutanken. Irgendwann dachte ich: Wieso nicht umgekehrt? Ich wohne in der Natur und meine Akkus sind immer aufgeladen. Und wenn ich Inspiration suche, dann fahre ich eben nach Barcelona. Nach langem Überlegen habe ich mich zu diesem Schritt entschieden. Jetzt genieße ich die Ruhe und den Meerblick von meinem Büro aus. In der Stadt bin ich trotzdem ein bis zwei Mal wöchentlich. Das brauche ich, denn ich bin ein sehr urbaner Mensch und lasse mich gerne visuell inspirieren.

Menschen zieht es vermehrt in die Städte. Wie wird sich dieser Trend wohl weiterentwickeln?

Genau, weltweit ziehen derzeit rund 1,5 Millionen Menschen wöchentlich in eine Großstadt, wobei das hauptsächlich in Asien und Afrika passiert. Das sind irre Zahlen. Städte sind Ballungsräume der Hoffnung und der Möglichkeiten. In Städten ist man näher am Geschehen dran.

Zu jedem Mainstream-Trend gibt es aber auch eine Kontra-Bewegung. In dem Fall, dass es auch immer mehr Menschen in ländlichere Wohngegenden zieht. Immobilienmakler merken hier derzeit einen Zuwachs von rund 20 Prozent bei der Recherche von neuen Lebensräumen. Ich denke, in Kürze werden sich Menschen wieder mehr ins Ländliche bewegen, vor allen Dingen Eltern, die ihren Kindern ein anderes Umfeld anbieten wollen – aber in der Nähe einer Stadt.

 

Gib uns gerne mal einen kleinen Einblick in deine Einrichtung. Wie wohnst du?

Mit dem Einzug in unser Haus befinde mich gerade in einer neuen Phase meines Lebens und deshalb hat sich auch mein Geschmack in Sachen Interior verändert. In Barcelona hatten wir rosa Wände und ein rosa Sofa aus Samt im Wohnzimmer. Hier dagegen lege ich momentan Wert auf eine beruhigende Farbwelt: Weiß, Creme und Sandtöne im Mobiliar, an den Wänden und Teppichen. Das wird sich in Zukunft ändern, aber momentan brauche ich es so. Dazu kombiniere ich schwarze Farbtupfer. Nicht skandinavisch angehaucht, sondern eher eklektisch.

Vintage mag ich gerne, zum Beispiel Design aus den Sechzigern. Dazu ein Hauch von mediterranem Stil. Auch große Pflanzen habe ich mir zugelegt. Und ich liebe Skulpturen, Bilder und Fotografien.

Die Themen Well-Being und reizarme Umgebungen mit Erholungsfaktor werden immer wichtiger. Credits: Koola.suchus team (Mitte), sixnfive (rechts)

Wo ist dein Lieblingsplatz in deinem Haus?

Im Winter ist es der Platz vor dem Kamin. Da sitze ich dann auf dem Teppich davor, genieße das Feuer, lese und trinke ein Glas Wein. Und im Sommer ist es definitiv der Outdoor-Bereich, unsere Terrasse. In Barcelona hatten wir nicht mal einen Balkon, die Architektur ist dort nicht dafür ausgelegt. Wir haben uns auch ein großes Outdoor-Sofa gekauft und im Sommer ist es, als hätten wir den Wohnraum erweitert. Das ist wunderschön!

 

Wie sieht deine Prognose aus in Sachen Wohntrends 2021?

Ich würde diese gern in sechs Punkten zusammenfassen:

  1. Self Care und Rituale werden Bestandteil unseres Alltags sein, dafür werden eigene Ecken, Möbel, Farben und Produkte kreiert.
  2. Outdoor: Der Outdoor-Bereich wird erweitert und verschönert. Gedanklich werden wir ihn mehr als zusätzliches Zimmer ansehen und dementsprechend investieren. Wir haben in den letzten Monaten gelernt, wie wichtig dieser Ort geworden ist.
  3. Viro Block: Oberflächenbehandlungen müssen virenabweisend werden, im Textilbereich gibt es bereits erste Resultate. Damit werden wir Polstermöbel beziehen können.
  4. Flexibilität: Möbel müssen flexibel und versatil sein. Zusammenbauen, auseinanderziehen können, flexibel einsetzen gehört in kürzester Zeit zur Norm. Nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch zu Hause werden wir mehr Wired Furniture sehen. Tische, Sofas und andere Kleinmöbel werden unsere mobilen Geräte jederzeit aufladen. Dafür brauchen wir irgendwann die Steckdosen in Wänden nicht mehr.
  5. Robotic Furniture: Auf Knopfdruck oder Voice Control öffnet und verschwindet das Bett, der Arbeitstisch oder der Kleiderschrank in den Wohnungen, die zu klein sind um eigene Zimmer dafür zu haben.
  6. Thema Farbwelt: Ein helles, fast pastelliges Buttergelb zieht verstärkt im Home-Bereich ein. Gelb steht für Sonne, Wärme und Leben – das hilft uns sicher in der momentanen Zeit. Ich sehe auch nach wie vor Brauntöne von Toffee zu Karamell bis Schokolade. Das helle Flieder aus der Modewelt wird als Tupfer hier und da eingesetzt.

 

Vielen Dank für deine Zeit und das sehr interessante Gespräch, liebe Gudy!

Gudy's Wednesday Journal

Tauchen Sie in Gudy Herders Welt ein: Das digitale Wednesday Journal erscheint zweimal im Monat. Dort erzählt Gudy, was sie momentan inspiriert: Von lesenswerten Büchern, empfehlenswerten Serien oder Filmen bis hin zu interessanten Podcasts. Außerdem werden den Lesern Downloads von E-Books zu Trends und Farben zur Verfügung gestellt.

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