Interview mit Dr. Josef Straßer | Die Neue Sammlung München

Foto: Rainer Viertlböck

Designklassiker schlechthin

(Fast) jeder kennt sie, (fast) jeder liebt sie: die sogenannten Designklassiker, die in keinem Zuhause fehlen dürfen. Nicht etwa, weil sie gerade im Trend liegen oder zum guten Einrichtungston gehören, sondern weil sie so zeitlos schön sind, dass wir sie einfach immer gerne um uns haben. Tatsächlich zeigen Designklassiker wie der Barcelona Chair von Mies van der Rohe, die Le Corbusier LC4 Liege, der Louis Ghost Armlehnstuhl von Philippe Starck*, der Chair One von Konstantin Grcic oder auch der legendäre Egg Chair von Arne Jacobsen die Essenz ihrer Zeit auf – und das auf allerhöchstem Niveau. Dabei sind die meisten Entwürfe nicht etwa abgehoben und wenig funktional, sondern greifen auf bewährtes Produktdesign für den Alltag zurück.

 

„Ein Entwurf, der nicht nur Qualität besitzt, sondern auch das Publikum erreicht, hat natürlich ein gutes Potential zum Klassiker.“

Aber ab wann spricht man überhaupt von einem Designklassiker? Was muss ein Produkt haben, können, leisten, sein, um in diesen Möbel-Olymp aufgenommen zu werden? Und wie es ist, wenn man den ganzen Tag mit Objekten zu tun hat, die es bereits „geschafft“ haben, die zeitlos und damit unsterblich geworden sind?

Wir haben mit jemandem gesprochen, der es wissen muss: Dr. Josef Straßer ist an der Neuen Sammlung, The International Design Museum Munich, als Hauptkonservator und stellvertretender Direktor tätig. Er verrät uns, nach welchen Kriterien Die Neue Sammlung ihre Auswahl von Objekten trifft, was die Besucher hier erwartet, vor welchen neuen Herausforderungen neue Entwürfe stehen – und wie es mit seinen persönlichen Favoriten aussieht:

* von AmbienteDirect übrigens im Jahr 2015 an Die Neue Sammlung gespendet    

Von links oben nach rechts unten: Bild 1: Bücherregal, Tokyo Stuhl by Charlotte Perriand, Foto: Tom Vack / Bild 2: S-Chair by Eileen Gray, Foto: A. Bröhan / Bild 3: Dr. Josef Straßer Foto: Die Neue Sammlung (A. Laurenzo) / Bild 4: Le Corbusier LC4 Liege by Le Corbusier, Foto: Rainer Viertlböck / Bild 5: Thonet 214 Bugholzstuhl by Thonet / Bild 6: Egg Chair/ Das Ei Loungesessel by Arne Jacobsen, Foto: A. Bröhan, München

Die Neue Sammlung bewahrt mit rund 120.000 Objekten die weltweit umfangreichste „permanent collection“ an Industrial und Product Design, dazu Graphic Design und Kunsthandwerk von 1850 bis ins 21. Jahrhundert. Nach welchen Kriterien findet die Auswahl statt?
Entscheidend ist immer die Qualität eines Entwurfs beziehungsweise des Produktes. Dabei spielen weder die Namen der Entwerfer noch die Stückzahlen eine Rolle, wichtiger sind die dahinter steckenden Ideen, aber auch deren Umsetzung.

Inwiefern war die Eröffnung der Pinakothek der Moderne im September 2002 für Die Neue Sammlung ein entscheidender Wendepunkt?
Unser Museum war seit der Gründung im Jahr 1925 in einem Anbau des Bayerischen Nationalmuseums untergebracht. Wir hatten damals eine Ausstellungsfläche von rund 300 Quadratmetern. Aus diesem Grund waren immer nur Wechselausstellungen möglich -  zwischen den Ausstellungen, in den Umbauphasen, musste das Museum sogar ganz schließen. Nun hat sich die Ausstellungsfläche etwa verzehnfacht. Neben einer ständigen Sammlung gibt es weiterhin zahlreiche Wechselausstellungen. Zudem kann sich der Besucher auch die anderen in der Pinakothek der Moderne untergebrachten Museen und deren Ausstellungen ansehen.

Was genau darf der Besucher unter dem Begriff Designmuseum verstehen und erwarten?
Ein Designmuseum zeigt die gestalterischen Glanzleistungen einer Epoche – das beginnt bei den ersten Bugholzstühlen, reicht über Bauhaus-Entwürfe und Stromlinienfahrzeuge bis zu den elektronischen Geräten von heute. Zu sehen sind zahlreiche Objekte des Industriedesigns, Radio, Fernsehgeräte, Schreibmaschinen, Computer, Haushaltsgeräte sowie Leuchten und Möbel, Kunsthandwerk und Schmuck.

Was sind Ihrer Meinung nach die interessantesten Stücke?
Für mich sind alle Stücke sehr interessant. Jedes Objekt steht für eine bestimmte Idee in einer bestimmten Zeit und erzählt seine eigene Geschichte.

Haben Sie einen persönlichen Favoriten unter den Präsentationen?
Die aktuellste Präsentation ist immer die spannendste, aber das liegt in der Natur der Sache.

In welche Richtung soll sich Die Neue Sammlung weiter entwickeln?
Eigentlich ist die bisherige Richtung ganz gut, die schon unser Name programmatisch vorgibt: Konzentration auf die Gegenwart und Zukunft. Manche Bereiche werden vielleicht nicht so intensiv weiter verfolgt, da hier die Entwicklungen abgeschlossen sind, dafür wird es neue geben, von denen wir heute noch nichts ahnen. Die Aufgeschlossenheit dafür ist entscheidend und wird auch die zukünftige Entwicklung unseres Museums beeinflussen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Neuen Museum in Nürnberg und dem Internationalen Keramik-Museum in Weiden in der Praxis?
Während im Neuen Museum in Nürnberg die Präsentationen in Kooperation entstehen, wir entwickeln gemeinsam mit den Kollegen, Künstlern oder Gestaltern die einzelnen Projekte und stellen die Designobjekte aus unserem Fundus dafür zur Verfügung, erarbeiten wir die Ausstellungen in Weiden in der Regel hier in München, da es sich bei dem Internationalen Keramik-Museum um unser Zweigmuseum handelt. Aber auch hier suchen wir die Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Museen, die mit eigenen Präsentationen in Weiden vertreten sind, und mit der Kommune.

Wie können Design und Moderne Kunst für die Zukunft erhalten werden, wenn sich alles immer wieder neu erfindet?
Viele „Neuerfindungen“ greifen nur auf ältere Ideen zurück, kopieren diese oder variieren Form und Farbe ganz nach den jeweiligen Trends. Diese Dinge müssen wir nicht bewahren. Wir kümmern uns mehr um die wirklich wichtigen Dinge, die Innovationen umsetzen und neue Richtungen ermöglichen.

Welche Herausforderungen gibt es bei Materialien, Technologien und Produktionsprozessen und inwiefern finden diese Aspekte Berücksichtigung bei der Auswahl der Objekte?
Entscheidend ist, wie diese Herausforderungen gelöst werden. Nur weil etwas aus einem neuen Material besteht oder anders produziert wird, bedeutet nicht zugleich, dass es auch gutes Design ist. Nicht zu vergessen ist dabei auch der Aspekt der Nachhaltigkeit.

Wie und durch welchen Einfluss entwickelt sich ein Produkt zu einem Designklassiker?
Wenn man das so einfach sagen könnte, gäbe es nur noch Designklassiker. Nein, aber ein Entwurf, der nicht nur Qualität besitzt, sondern auch das Publikum erreicht, hat natürlich ein gutes Potential zum Klassiker. Neben funktionalen, formalen und ästhetischen Werten spielen auch Marketing, Werbung und mediale Präsenz eine gewisse Rolle.

Verraten Sie uns Ihren ganz persönlichen Designklassiker, in den Sie immer (wieder) investieren würden?
Meine persönlichen Favoriten möchte ich eigentlich nicht verraten, aber wenn ich in Designklassiker investieren würde, dann kämen für mich vor allem Möbel in Frage, denn trotz aller Moden wird man wohl auch in einigen Jahrzehnten immer noch auf Stühlen sitzen.

Auf was sollten Käufer Ihrer Meinung nach achten, wenn sie in einen solchen Klassiker investieren möchten?
Wichtig ist der Hersteller. Man sollte nicht des Preises wegen Billigprodukte erwerben, sondern sich immer die von den lizensierten Herstellern produzierten Stücke kaufen. Dadurch bekommt man auch die gewünschte Qualität, die sich nicht so schnell abnützt. Außerdem ist später der Wiederverkaufswert höher.

 

Vielen Dank für das interessante und informative Interview!


 

Warum sich ein Besuch in der
neuen Sammlung immer lohnt

Inspiration, Ideen, Input – die Neue Sammlung München ist immer einen Besuch wert. In wechselnden Ausstellungen widmet sie sich den wichtigsten Designer-Persönlichkeiten und vermittelt ihren Besuchern nicht nur den optischen Eindruck eines Werkes, sondern on top das Gefühl für die Intention und das Arbeiten des Künstlers.